Abstracts 05.09.2021

05.09.2021 // 16.30–18.00 // Room S 003 // Chair: Vincenzina Ottomano

Keynote (K1): Après la déconstruction – Fragen zur Dekontextualisierung einer «verspäteten Disziplin»

Anselm Gerhard (Universität Bern)

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es lange gebraucht, bis die Verstrickung der deutschen Musikwissenschaft in die mörderische Ideologie des Nationalsozialismus kritisch diskutiert wurde. Voraussetzung war, wenn man so will, der Wille zur Dekonstruktion eines weithin akzeptierten, weil scheinbar selbstverständlichen Konsenses über die Aufgaben akademischer Musikforschung. Vor allem aber war Voraussetzung, die in einer wenig splendiden Isolation lebende Disziplin in größere Zusammenhänge einzuordnen. Ein Vierteljahrhundert später ist ein solcher Konsens selbst in Ansätzen nicht mehr zu erkennen. Gleichzeitig ist die Öffnung zu anderen Disziplinen so weit fortgeschritten, dass eine andere Gefahr droht: der Verlust eines disziplinären Kerns. Es stellen sich also Fragen nicht nur zu Möglichkeiten und Grenzen methodologischer Zugriffe, die sich zunehmend durch den Mangel an kritischer Distanz auszeichnen. Sondern auch zur immer wieder neu auszuhandelnden Bedeutung der Musik in der Musikwissenschaft.

Anselm Gerhard, geboren 1958 in Heidelberg, studierte in Frankfurt am Main, an der Technischen Universität Berlin, am Istituto di Studi Verdiani (Parma) und in Paris. Nach Tätigkeiten in Münster (Westfalen), Augsburg, Basel und Heidelberg seit 1994 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Bern. Forschungsschwerpunkte: Musiktheater, insbesondere des 19. Jahrhunderts, Klaviermusik, Musikästhetik der Aufklärung, Geschichte der Musikwissenschaft. 2008 wurden seine «outstanding contributions to musicology» mit der «Dent Medal» der Royal Musical Association (London) ausgezeichnet.

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